2. Sonntag nach Weihnachten / 2. Januar 2022

Lesung: Epheser 1,3-6.15-18 Evangelium: Johannes 1,1-5.9-14

Es ist einfach faszinierend, dieses dicke Buch über Merfeld mit knapp 600 Seiten, für einige Tage ausgeliehen von einem Merfelder. Einigen haben ich es in diesen Tagen schon gezeigt: Es handelt sich nur um einen von demnächst 14 Bänden der „Ortsfamilienbücher Dülmen“, ein beispielloses Recherche- und Dokumentationsprojekt, das ein Josef Schnieder seit etlichen Jahren betreibt – „ein umfangreiches Vorhaben, was niemals fertig wird“, schreibt er im Vorwort. Schon jetzt sind aus historischen Kirchbüchern und unzähligen anderen Unterlagen über 85.000 Familien zusammengetragen, die über Jahrhunderte in Dülmen und den Ortsteilen gelebt haben – es sind dies momentan weit über 300.000 Namen!

Liebe Schwestern und Brüder!

Es löst bei vielen Menschen eine ganz eigene Faszination aus – darum zu wissen: Wer gehört zu wem? „Wat is dat für `ne Geborene?“ Wer ist wie verwandt? „Wo kommt der wech?“ Das hatte früher noch drastischere Konsequenzen als heute – etwa im Sozialgefüge eines Dorfes oder in der Erbfolgeregelung einer Familie.

Wer gehört zu wem? Wer ist wie verwandt? Die Grenzen zwischen echtem Interesse und bloßer Neugier können da fließend sein – die Grenzen zwischen echter Anteilnahme und bloßem Hörensagen: Wer gehört zu wem? Wer ist wie verwandt?

Zu wem gehören wir?

Auch die Schriftlesungen vom heutigen 2. Sonntag der Weihnachtszeit sprechen von einer großen Familie, von einer Zuordnung, von einem Sozialgefüge. „Gott hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne (und Töchter) zu werden – durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.“ So hörten wir in der (zweiten) Lesung aus dem Epheserbrief: Das klingt wie ein Automatismus „von Gottes Gnaden“, wenn die Rede davon, dass wir „erwählt“ und „berufen“ sind. Es handelt sich aber nicht um einen Automatismus, den wir nur passiv zur Kenntnis nehmen könnten. Im Gegenteil:

  • Eine Erwählung, und sei sie durch Gott und „im voraus“, drängt danach, dass sich der Erwählte, also der Mensch irgendwie und „hier und jetzt“ zu ihr verhält.

  • Die Berufung verlangt, dass man sich nicht taub stellt, sondern auf den Ruf Antwort gibt.

  • Ein Plan, auch einer „von ganz oben“, von Gott, will bewusst umgesetzt werden.

Die Gnade schaltet den Menschen ein, nicht aus!“ Das gilt auch für die Frage: Zu wem gehören wir? Beziehungen wollen gestaltet sein, Gemeinschaft braucht Initiative, Verwandtschaft ist Erbe und Auftrag zugleich.

Man kann sich verschließen und verweigern, man kann alles beargwöhnen und abwerten – angesichts der vielen Beziehungen, in denen wir leben: im Staat und in der Gesellschaft, in der Familie oder am Arbeitsplatz, in der Kirche und der Gemeinde. Oder man kann sich öffnen und bejahen, die Dinge von ihrer positiven Seite sehen und wertschätzen.

Das Evangelium beschreibt diese Dynamik, dass sich der von Gott Berufene bewusst gegen alle Finsternis und Abgrenzung stemmt; dass wir das Licht des Evangeliums und die Botschaft Jesu bewusst und wirklich annehmen: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden – allen, die an seinen Namen glauben!“

Wir tragen einen großen Namen; gehören zur Familie Gottes. Wir sind „von seinem Fleisch und Blut“ – denn Gottes „Wort ist Fleisch geworden und hat unser uns gewohnt!“ Jesus wird ja als Gottes „Wort“ bezeichnet, weil in diesem Jesus sich Gott ausspricht! Weil er sich an uns richtet und uns einlädt, das nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch zu durchdringen, zu gestalten, zu entfalten. An Jesus und an seinem Leben mit all seinen Worten und Werken, an seiner Lebenshingabe können wir „ablesen“, wie Gott über uns denkt und was er mit uns vorhat. In Jesus, dem fleischgewordenen Wort, sind wir angesprochen! Das meint – zuhören, abwägen, antworten! Das meint – sich aussprechen, loben, klagen. Das meint – einen „Dialog“ zu führen, Zeit zu haben für das Gespräch mit Gott, für die Schriftlesung, für das Gebet. Denn sich nur unterhalten zu lassen, das wäre kein Dialog …

Ich möchte die Geschichte von Familien schreiben, die sonst nicht im Blickfeld stehen!“ – so sagte der eingangs erwähnte Josef Schnieder bei einem Vortrag in Merfeld über sein genealogisches Projekt. Uns „in den Blick nehmen“ und „Familiengeschichte schreiben“ – das will auch Gott mit uns!

Wenn die (zweite) Lesung die „Sohnschaft“ der Getauften betont, dann ja nicht zur Unterscheidung von „Tochter“, sondern um von den „Sklaven“ und den Unfreien zu unterscheiden: Denn im damaligen Rechtsverständnis war nur der „Sohn“ in besonderer Weise privilegiert und autorisiert: „Gott erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt!“

Ich wünsche uns, die wir durch Jesus Christus zur „Familie“ Gottes gehören und einen renommierten Namen tragen, – ich wünsche uns für das neue Jahr einen Vorgeschmack auf die „Herrlichkeit seines Erbes“: unter Gottes Segen uns ermöglicht; durch wertvolle Begegnungen mit den Mitmenschen zusammengetragen; durch bereichernde Erfahrungen angehäuft!

Amen.