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17. Der Streit um das Merfelder Bruch. 1800-1838

(Nach den Prozeßakten v. Merode gegen Stegehake u. Gen.)

Wegen Ausübung der Gerichtsbarkeit in der Herrschaft Merfeld war seit mehreren Jahrhunderten zwischen ihren beiden Besitzern und den fürstlich münsterschen Gerichten ein Rechtsstreit beim Reichskammergericht anhängig. In der 1780er Jahren erhielt der eine Besitzer, Fürst von Bretzenheim wegen Ausübung dieser Gerichtsbarkeit in seinem Anteil Streitigkeiten mit dem münsterschen Hofgericht. Der Kurfürst von Pfalzbayern als Herzog von Jülich und Berg und angeblicher Lehnsherr von Merfeld, sowie der Fürst von Bretzenheim klagen daher wider den Fürstbischof von Münster und dessen untergeordnetes Hofgericht bei dem Reichsgericht. Darauf erging 1792 ein Urteil dahin, daß die streitige Gerichtsbarkeit über Merfeld und dessen Eingesessenen – soviel Fürst v. Bretzenheim davon besitze – einstweilen bis zur Entscheidung des Hauptprozesses zu sequestieren und ein besonderer Justitiar, der die bürgerliche Gerichtsbarkeit unter Vorbehalt der Berufung an das Reichskammergericht auszuüben hat. In der Person des Dr. Becker anzuordnen ist.

In der Folge geriet der Freiherr v. Merode mit dem Justitiar Dr. Becker wegen Ausübung der Gerichtsbarkeit in Streitigkeit. Als er sich an die münsterischen Gerichte beschwerend wandte, erging 1795 auf die vom Fürsten v. Bretzenheim deshalb erhobene Klage ein reichsgerichtliches Urteil dahin, daß der Freiherr v. Merode seine Beschwerden gegen den Justizverwalter Becker beim Reichsgericht, keineswegs aber bei den münsterischen Gerichten vorzubringen hätte.

Die beiden gutsherrlichen Häuser Merfeld, das freiherrl. v. Merodische und das fürstlich Bretzenheimische, waren seit undenklichen Jahren in ungestörtem Besitze des Eigentums des Merfelder Bruchs gewesen. Beide Häuser besaßen darin unter Anderem das Beholzungsrecht; sie hatten von jeher eine Menge Häuser darin erbauen lassen, hatten verschiedene Teile von Weidegrund an Fremde und an Benachbarte gegen jährliche Abgaben pachtweise ausgetan, wie die Einwohner des Dorfs Reken noch immer Weiden darin zur Pacht hatten, und die Jahrespacht den Häusern Merfeld entrichteten. Sie gestatteten Fremden die Durchfahrt durch das Bruch gegen vereinbarte Abgaben, hatten immer fremde, wilde Pferde darin schütten lassen und gegen Erlegung des Schüttegelds den Eigentümern wieder frei gegeben; sie hatten im Bruch verübte Holzdiebereien bestraft – kurz sie hatten ihn seit unerdenklichen Zeiten ungestört in seinem ganzen Umfange benutzt. Die Eingesessenen Merfelds oder die Eigenhörigen beider Häuser hatten in diesem Bruche keine Gerechtsame; alles was sie darin zu ihrer Notdurft benutzten, wurde ihnen von den beiden Häusern bewilligt; wo wurde ihnen darin der Erdbrand oder Torfstich, das Plaggenmatt und die Viehweide von ihren betreffenden Gutsherrschaften in ihren Gewinnbriefen oder auf sonstige Art zu ihrem eigenen Gebrauch gestattet.

Es hatte sich noch keiner der Merodeschen noch Bretzenheimschen Untertanen beikommen lassen, den bis dahin unbestrittenen Besitzstand der Gutsherrschaften zu stören und sich mehr Gerechtsame im Bruch anzumaßen, wie ihnen bewilligt worden war. Einigemal hatten mehrere Hörige sich erlaubt, im Bruch eigenmächtig Pferde und Gänse zu schütten; sie wurden aber jedesmal bestraft und zur Ordnung gewiesen. Als 1793 ein solches eigenmächtiges Schütten von einigen Merodischen und Bretzenheimschen Bauern vorgenommen wurde, gelobten auf die deswegen von Freiherrn v. Merode erhobene Beschwerde die Beklagten von solcher Anmaßung abzustehen und unterwarfen sich wegen der Bestrafung der Gnade.

Im Jahre 1800 wagten es nun die Bretzenheimschen Untertanen Stegehake, Kuhmann, Hesker, Peter und Mensmann, sowie die 2 zum Hause Merode hörigen Zeller Specht und Sommer, einen Aufwurf im Bruch eigenmächtig niederzureißen. Wegen des eigenmächtigen Aufwerfens wurde Zeller Elbert in eine Strafe von 30 Tlr. verurteilt. Die 2 Merodeschen Zeller gelobten, bei der künftigen Wiederherstellung des Auswurfs behilflich zu sein. Um aber die 5 Bretzenheimschen Bauern wegen der Besitzstörung verantwortlich zu machen, klagte Freifrau v. Merode vor dem Richter der Herrlichkeit Merfeld, weil die Bauern stets zur Selbsthilfe und Eigenmacht geneigt und zu halsstarrig seien, ihr Unrecht anzuerkennen. Sie ersuchte den Richter, den Beklagten die Wiederherstellung des früheren Besitzstands anzubefehlen. Anstatt nun schuldige Folge zu leisten, ließen die Beklagten eine Gegenschrift einreichen und darin außer verschiedenen Einreden auch die Unzuständigkeit des Gerichts vorbringen: Das Haus Bretzenheim nehme auch Anteil an der Sache, da ihm ein Mitrecht an dem Bruche zustehen solle; Justizverwalter Becker sei zugleich Rentmeister des Fürsten von Bretzenheim und müsse so dessen Gerechtsame wahrnehmen, er könne daher nicht zugleich auch Richter sein.

Durch verschiedene Umstände verzögerte sich das Einreichen der Gegenschrift der Klägerin um mehr als 2 Jahre. Diesen Aufenthalt der Sache benutzten die Bretzenheimschen Bauern, sich noch weitere Eingriffe in die Gerechtsame ihrer Gutsherrschaft zu erlauben. Von üblen Ratgebern geleitet, beschlossen sie 1802 im Bruche eigenmächtig, ohne gutsherrliche Erlaubnis, eine gemeinschaftliche Schule*) zu erbauen. Sie trafen dazu alle Anstalten, bestellten den Zimmermann Rüskamp und ließen das erforderliche Holz anschaffen und zubereiten.

Um Tätlichkeiten und Tumulte zu verhüten, erbat Freifrau von Merode einen gerichtlichen Befehl auf Einstellung des Schulbaues. Die Beklagten ließen sich aber durch den erwirkten Befehl des Justitiars Becker nicht abschrecken und errichteten die Schule. Sie ließen sich sogar verlauten, daß sie ihrem neuen Schulmeister eine Wohnung im Bruch errichten und ihm darin Ländereien anweisen würden. In einer Beschwerdeschrift behaupteten die Beklagten, daß das Gericht in Merfeld in der Sache nicht sprechen könne und daß man daher dessen Verfügungen als nicht verbindlich ansehe. Der Grund, eine neue Schule in der „Gemeinheit“ zu erbauen, sei, daß Freifrau von Merode die Kinder der Bretzenheimschen Untertanen aus der auf ihrem Grundeigentum stehenden Schule durch ihren Diener habe austreiben lassen; im Falle der Fortdauer der Störung des Schulbaues durch Klägerin würden sie sich an den preußischen Schul-Organisations-Chef, Grafen von der Schulenburg, wenden und gegen die rechtlosen Angriffe der Freifrau von Merode Schutz erbitten. (Das Amt Dülmen, worin Merfeld lag, war keineswegs dem König von Preußen als Entschädigung zugeteilt worden, sondern er hatte es nur bis zur Berichtigung des Entschädigungsgeschäfts in Besitz nehmen lassen).

Da so die Bauern sich weigerten, das Gericht von Merfeld als zuständig anzuerkennen, schickte der Richter die Akten an das Reichskammergericht in Wetzlar. Dieses legte 1803 durch Urteil den Bretzenheimschen Eingesessenen auf, sich in der Sache bei dem Justitiar Becker einzulassen, jedoch sollten die Akten auf Verlangen zur Universität versandt werden. Inzwischen hatten sich zu den ursprünglichen 5 Verklagten sämtliche Bretzenheimsche Hörige als Streitgenossen gesellt; auch hatte der Sohn der Klägerin, Freiherr Theodor von Merode, den Rechtsstreit übernommen, einmal als Erbherr des Merodeschen und dann als Eigentümer des Bretzenheimschen Hauses; er war nunmehr Gutsherr der Beklagten geworden.

1805 erließ die Juristen-Fakultät zu Würzburg ein Zwischenurteil. Es legte dem Kläger auf, besser als bisher zu beweisen, daß die fragliche Schule auf solchem Grund erbaut sei, auf welchem ohne seine Einwilligung nicht gebaut werden könne. Kläger nahm nun nicht allein den Besitz, sondern auch das Eigentum des ganzen Bruchs für sich in Anspruch. Zur Begründung nahm er Bezug auf die gedruckten Urkunden in dem vom Mönche Kindlinger herausgegebenen Buche „Merfeldische Geschichten, Münster 1787“, sowie auf die münstersche Eigentumsordnung. Nach unwesentlichen Verhandlungen blieb die Sache ruhen infolge nachstehenden Zwischenfalles.

*)Der Grund, auf dem die Schule erbaut war, lag zwischen den Gehöften Espeter und Hilgenberg. Es handelt sich also um die heute vorhandenen Schule, bzw. das Schulhaus in Merfeld.