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3. Die älteste Siedlung Merfelds: Der Grotehof

Man stellt sich das Germanien unserer Vorfahren als das Land eines einzigen Urwaldes vor. Mit Unrecht! Der germanische Wald war mehr oder weniger von Steppen unterbrochen. Der Wald wird 50, vielleicht 75 vom Hundert des Landes bedeckt haben. Den Römern war der germanische Wald eine Stätte des Schreckens, und die Schlacht im Teutoburger Walde trug nicht dazu bei, dies Gefühl der Unheimlichkeit zu verscheuchen. Die Germanen selbst wohnten nicht im Walde. Sie wohnten am Saume des Waldes; in die Wälder verlegten sie ihre heiligen Haine. Eine große Steppe lag im Nordosten Merfelds, wo dürrer Sandboden vorherrscht und zur Zeit Kiefernwaldungen bestehen. Von hier aus, wo der höchste Punkt der Gemeinde, der Steinberg mit 71,5 m Höhe liegt, wird das Gelände nach Süden und Westen zu immer niedriger, so daß es zuletzt im Esphorst am Heubach unter 50 m Höhe über dem Meeresspiegel sich gesenkt hat. Hier oben, wo mehrere Wasseradern das Gebiet nach Süden zu verlassen, wo jetzt das Haus Merfeld mit seinen wohlgepflegten Wiesengründen sich ausbreitet, findet sich die älteste Siedlung Merfelds, der Grotehof, vor. Grot hat hier (ähnlich wie in dem Worte Großvater, Großknecht) die Bedeutung ältest. Seine Hausstätte lag in der Nähe der Kapelle, daher s. Zt. die Vikarie dort auch „zum groten Hofe“ genannt wurde. In späterer Zeit wurde die Siedlung zu einem Haupthof. Nach Erbauung der Burg wurde dieser von einem Schulten bewohnt. Schließlich wurde die Wohnstätte wüst und eingezogen und die Ländereien vom Schlosse aus bebaut.

Alte Flurnamen, welche auf heidnische Götterverehrung hindeuten und wie sie bei vielen Haupthöfen des Münsterlandes bis heutigen Tages erhalten geblieben wird, wie Bonenkamp, Dornau, Sitter, findet man beim Grotenhofe nicht vor. Auch ist nirgends von heidnischen Urnenfriedhöfen in Merfeld eine Spur zu finden gewesen. Nichts deutet an, daß die Siedlung dort schon in vorchristlicher Zeit gegründet wurde. Die nachherige Burganlage hat das alles verschwinden gemacht.

Die Wohnung der ersten Ansiedler bestand (nach Baum) aus Erdhöhlen, überdeckt mit unbehauenen Baumstämmen, verkleidet mit Reisern und Lehm. In der Mitte der Höhle befand sich der Herd. Solche Erdhöhlen haben sich vorgefunden in den Heiden bei Hullern und Datteln in der Dahler Heide, in Alstedde bei Lünen und im Rieselfeldergebiet Dortmunds.

Die gewöhnliche Tracht bildeten ein Mantel, ein Tierfell, gehalten von einer Spange oder einem Dorn, mit einem warmen Unterkleide. Falsch sind die Abbildungen, welche die Vorfahren halb nackend darstellen. Unser Klima forderte stets warme Bekleidung. Für das Haus, den Herd sorgten Frauen und Greise, während die Männer die Herden führten und Jagd auf Wild machten. Ihr Heim brauchten sie Jahrhunderte hindurch gegen menschliche Feinde nicht zu schützen. Erst als der Handel sich Wege bahnte, mußten Ansiedlungen mit Wall und Graben geschaffen werden.

Die Bewaffnung war einfach. Ein Speer aus Feuerstein, ein Hammer aus Stein, der auch als Kultgerät diente, und ein Messer aus Flintstein zierten den Urbewohner. Später, als der Handel sich fühlbar machte, kamen durch Tausch Waffen aus Bronce und Eisen, ferner allerlei Geräte aus Eisen in unsere Gegend.

Die Gräber reden bessere Kunde als man glaubt. Sie erzählen uns von dem treuen Sinne des Volkes, das seine Toten nicht nur nicht würdig für die Reise in die bessere Welt ausrüstete, sondern ihnen auch das Liebste, an dem in Erdentagen ihr Herz hing, sei es ein Schmuckgegenstand, ein Gerät oder eine Waffe, mitgab in das Grab.

Bei ihren Leichenbegängnissen entfalteten sie keine Pracht. Gemeinschaftlich verbrannten sie die Toten, warfen Opfergefäße und Waffen in die Glut und sammelten die Gebeine in Urnen, die sie entweder an der Brandstelle oder bei der Behausung in Hügeln beisetzten, um die Geister ihrer Lieben stets um sich zu haben.

Allmählich drangen die Ansiedler von den Rändern in das Innere des Waldes vor, um Rodungen vorzunehmen. Der Grund dazu war die zunehmende Dichtigkeit der Bevölkerung und in Zusammenhang damit die Schaffung neuer Wohn- und Ackerflächen. Vom Grotenhof begann die Rodung des Waldes nach Westen und Süden zu; denn nach entgegengesetzter Seite stießen die Marken der Siedlungen von Welte und Börnste dicht an. Nach Westen namentlich war das Waldgebiet fast unbegrenzt. In den Waldungen hausten Ur und Elch, Bären, Wölfe, Schwarzwild u. dergl. Das edelste Tier aber war das wilde Pferd. Mitten durch die Niederung führte der Heubach in Schlangenwindungen sein fischreiches Gewässer. Er trennte die germanischen Volksstämme der Brukterer diesseits von den Chamaven jenseits. Die meilenweite Sumpf- und Waldwildnis war das „Wildwest“ der beiden Volksstämme.